BORG Telfs - Was in Erinnerung blieb … Mag. Prof. Thomas Schöpf

BORG Telfs

Was in Erinnerung blieb …

Als wir das BORG Telfs Ende der Siebziger Jahre besuchten, wussten wir natürlich nicht, dass die 70er Jahre als Reformjahre der Bildung Bedeutung erlangen würden. Alles Mögliche wurde umgestellt und eingeführt: die Mengenlehre (Prof. Blumthaler wäre fast daran verzweifelt), der Taschenrechner (Prof. Lair hat diesen als Wunderwerk hochgelobt und uns bestens geschult), das Sprachlabor (Prof. Pramhaas hat uns da manchmal hineingelockt) und ein paar Professor:innen wagten sogar, die Sitzordnungen zu ändern (U-Form!).

Das BORG Telfs war aber eines sicher nicht: ein exklusives Elitegymnasium. Damit ist keine Aussage über die Qualität des Unterrichts getroffen, vielmehr ist die Zusammensetzung der Schüler:innenschaft gemeint. In den Schulbänken saßen der Osttiroler Bergbauernbub, der Sohn eines Außerferner Hilfsarbeiters, des Flaurlinger Eisenbahners, des Wildermieminger Schusters, die Tochter einer alleinerziehenden Betreiberin einer Frühstückspension im Mittelgebirge, die Tochter eines Telfer Tischlers und die Zwillinge eines 5-Sterne-Hoteliers in St. Anton am Arlberg Schulter an Schulter nebeneinander. Es gab auch den letztlich doch nicht hoffnungslosen Fall eines Schulverweigerers einer höheren Innsbrucker Schule, wohlerzogene Töchter aus Seefeld und Fabrikantentöchter aus Telfs. Diesem bunten Gemisch entsprach der vielstimmige Chor Tiroler Dialekte. Und es gab auch den Jugendchor.

Zum liebenswürdigen Schulverweigerer: Er war der Einzige, der den 2. Vornamen von William (Somerset) Maugham wusste. Prof. Pramhaas und mich hat dies tief beeindruckt. Tief beindruckt hat mich auch die Reaktion von Prof. Lair auf die Begründung des Schulverweigerers, warum er wieder einmal nicht rechtzeitig zum Unterricht kommen konnte. (Schulverweigerer: „Die Straßenbahn war voll.“ Alle lachten. Prof. Lair: „Ist in Innsbruck der Krieg ausgebrochen?“ Alle lachten noch mehr. Klassenbucheintragung hat es keine gegeben. Es war auch kein Platz mehr …)

Das BORG Telfs war ein sogenanntes „Aufbaugymnasium“. Das heißt, die meisten Schüler:innen hatten zuvor eine Hauptschule besucht. Deshalb gab es auch die „Ü-Klasse“ – die Übergangsstufe, die den Übertritt ins Gymnasium erleichtern sollte. Vor dem Gymnasium hatten viele Respekt, denn für eine derartige „Karriere“ war man nicht geboren.

Idealistische Eltern aus ökonomisch weniger privilegierten Schichten setzten ihre Hoffnung in ihren – hoffentlich – begabten Nachwuchs. Das entsprach dem Zeitgeist. Die Kinder sollten es besser haben und sich das Geld nicht mühsam mit den Händen verdienen müssen. „Du solltest es einmal besser haben als ich!“ war die Motivation der Unterstützung meines Vaters. Nach der Matura riet er mir, Fahrdienstleiter zu werden. „Da verdienst du im ersten Jahr mehr als ich nach 35 Dienstjahren.“ Das war richtig, aber ich folgte Vaters Rat nicht.

Zur Unterstützung gab es Schul- und Heimbeihilfe. Dennoch mussten sich manche Familien die Ausbildung der Heranwachsenden vom Mund absparen. Für jene Schüler – hier bewusst die männliche Form –, für die der tägliche Schulweg vom Wohnort aus zu weit gewesen wäre, gab es das VGH (Vinzenz Gredler Heim) und das Engelbertinum. Die dort untergebrachten Buben – für Mädchen gab es keine entsprechende Einrichtung – wurden despektierlich-wertschätzend „Heimeler“ genannt. Die Heimerziehung war katholisch geprägt.

Dort wo jetzt das Inntalcenter Telfs steht, ging es seinerzeit auf dem Schulweg vorbei an der Siedlung der ‚Karner‘ und ‚Laninger‘, die heute politisch korrekt als Jenische bezeichnet werden. Der Weg verband – nicht nur äußerlich – weit auseinanderliegender Pole gesellschaftlicher Existenz.

Selbst heute noch – mit akademischem Titel und gesellschaftlich angesehenem Beruf – kann man es kaum fassen, diesen Weg tatsächlich gegangen zu sein.

Damals hatten wir Lehrer:innen, die uns von Bertold Brecht (Prof. Prantauer), der Frankfurter Schule (Prof. Donau) und den Bauernaufständen (Prof. Vogl) erzählt haben. Legendär die Stunden, in denen wir Kleists „Der zerbrochen Krug“ wirklich gelesen haben (Prof. Öttl: „Und der Max liest den Licht.“). Prof. Heinz konnte es einfach nicht fassen, dass ich als Flaurlinger Bub noch nichts von Che Guevara wusste. Seitdem muss ich immer an Prof. Heinz denken, wenn ich von Che höre. Legendär war auch das Fußballspielen mit Prof. Heinz (er war unser Religionsprofessor) außerhalb der Schulzeiten – unter Einverständnis des Schulwarts – auf dem Schulgelände.

Das Schwimmbad Cafe´ war Außenstelle der Schule. Hier wurden in gemütlicher Atmosphäre das eine oder andere Bier genossen (unser Zillertaler Mitschüler und Bierkenner meinte bei jedem Anstoßen: „Aftang …“).

Gerade auf Wienwochen oder Schiwochen kam es – in Einzelfällen natürlich nur – zu Alkoholexzessen oder anderen Peinlichkeiten. Das würde man den honorigen Damen und Herren, die nun in gesetzterem Alter – wie soll man sagen – ja, zu den Stützen der Gesellschaft gehören und ihren Pflichten in Management, Bildung, Politik oder Medizin nachgehen, gar nicht anmerken.

Ich darf Prof. Reitmeir im Nachhinein ganz großen Dank aussprechen, weil er mich dutzendmal nach Innsbruck mitnahm zum Volkstanzen. Oft kamen wir erst nach Mitternacht zurück. Ich maturierte in Musik, er hat aber nicht einmal eine Andeutung gemacht, was zur Matura kommen könnte. Ob er tatsächlich Gitarrestimmweltmeister war, wie er uns oft glaubhaft machen wollte, konnte ich bis heute nicht herausfinden. Ich erinnere mich auch gerne an einen Teil der mündlichen Matura in Musik, bei dem wir als Gitarrentrio antraten.

Und der Dixi, so nannten wir unseren Direktor: Vielen von uns ist er in Erinnerung als strenger Herr – „Latein, das allgemeinbildende Fach“ – wie er zu sagen pflegte. Und trotzdem: Einiges ist hängengeblieben. Hängengeblieben sind bei mir auch die einleitenden Zeilen unseres Textes beim Maturaball:

Veni, vidi, vici,
es lebe unser Dixi.
Schon mit seinem Filius
dekliniert er porticus.

Lange Zeit hängengeblieben ist bei mir auch der Beiname „Schwammele“, weil ich mit Direktor Reitmaier die Leidenschaft des Pilzesuchens teilte.

Warum ich Wirtschaft und später Wirtschaftspädagogik studiert habe? Daran ist Prof. Weber schuld. Ich habe einfach die Angebots-Nachfragekurve und den daraus resultierenden Gleichgewichtspreis nicht verstanden. Ich dachte, da muss ein großes Geheimnis dahinterstehen. Im Wirtschaftsstudium bin ich dann dahintergekommen: Es war kein Geheimnis, sondern lapidar „ceteris paribus“. Dann habe ich auf Wirtschaftspädagogik gewechselt, weil mir die vielen guten Lehrer:innen des BORG Telfs in Erinnerung kamen, die ihren Beruf mit Leidenschaft ausübten. Es war eine gute Entscheidung.

Unsere Schulzeit im BORG Telfs war eine hoffnungsträchtige und zuversichtliche Zeit.
Unterstützung gebührt jenen, die dieses Bildungsversprechen in der Gegenwart lebendig halten!

 

Thomas Schöpf

 

PS: Ich danke Gabriel Mages und Bernhard Koch, beide arbeiten mit mir an der Pädagogischen Hochschule Tirol, für ihre inspirierenden Gedanken.