Worauf es in der Bildung ankommt

von BRG/BORG Telfs
18. Dezember 2020
Dr. Thomas Plankensteiner
HR Dr. Thomas Plankensteiner, ehemaliger LSI AHS

Trotz aller Reformen in den vergangenen Jahren ist die Grundfrage jeder Bildungsdiskussion gleichgeblieben: Was ist eigentlich das Wesen, das Ziel von Bildung? Es ist wohl nicht falsch, das Ziel von Leben und Bildung in einem sinnerfüllten, gelingenden Leben für den Einzelnen und in einem gelingenden, solidarischen Zusammenleben in Gemeinschaft und Gesellschaft zu sehen. Aus einem solchen Ziel müssen dann aber konkrete Konsequenzen für die Gestaltung von Bildung und Schule abgeleitet und Engführungen bewusst vermieden werden. 

So besteht eine Konsequenz etwa darin, die Erfüllung im Leben nicht allein durch den Beruf zu erwarten, sondern vor allem auch durch ein erfülltes privates, persönliches Leben in Partnerschaft, Familie und Freizeit nach dem biblischen Motto: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.“ Für die Bildung bedeutet dies konsequenterweise, in ihr mehr als eine reine (berufliche oder berufsvorbereitende) Ausbildung zu sehen. Vielmehr muss es ganz besonders auch um Persönlichkeitsbildung und Entfaltung aller Anlagen und Begabungen, etwa auch im musisch-kreativen oder sportlichen Bereich, gehen. Auch die Reduktion auf eine rein kognitive Bildung wäre eine Engführung, denn auch das Handwerklich-Praktische ist ein wichtiger Teil menschlicher Entfaltung. Fatal ist auch die heute weit verbreitete Überbetonung der sogenannten „Kernfächer“ und des rein Messbaren und Zählbaren, wie wir es bei diversen Testungen (Bildungsstandards, PISA, Reifeprüfung) erleben. Der Philosoph Martin Seel hat recht, wenn er sagt: „Die messbare Seite der Welt ist nicht die Welt. Es ist die messbare Seite der Welt.“ Oder Albert Einstein: „Nicht alles, was zählt, kann gezählt werden; und nicht alles, was gezählt werden kann, zählt.“ Eine Beschränkung auf das Messbare ist Ausdruck einer gefährlichen Reduktion von Bildung und Schulqualität. Diese Tendenz stellt sogar einen Rückschritt in der Auffassung von Bildung dar, hat man sich doch in den vergangenen Jahrzehnten bewusst um eine Erweiterung des Bildungsbegriffes in Richtung persönlicher, sozialer und kreativer Kompetenzen bemüht. Erich Kästner hat einmal geschrieben: „Nur Ochsen büffeln, der Mensch aber soll lernen, und deshalb ist der Kopf nicht der einzige Körperteil. Man muss nämlich auch springen, turnen, tanzen und singen können, sonst ist man, mit seinem Wasserkopf voller Wissen, ein Krüppel und nicht mehr.“ 

Angesagt ist also eine ganzheitliche, humanistische Bildung ohne einseitige Reduktionen und Engführungen. Für die AHS leitet sich daraus ein ganz besonderer Auftrag ab, nämlich als solide Basis eine fundierte Allgemeinbildung zu vermitteln. Dadurch sollen junge Menschen einen Einblick in die verschiedenen Weltzugänge erhalten und gegen Verführbarkeit jeglicher Art immunisiert werden. Dabei stellt dieses Grundwissen nicht nur ein beliebig austauschbares Material für formale „Kompetenzen“ dar, sondern ist Teil der Wahrheitsfindung. Denn: „In veritate libertas“ („In der Wahrheit liegt die Freiheit“). Letztlich muss sich das in Schulen vermittelte Grundwissen also am aktuellen Stand der Wissenschaften orientieren, was nur möglich ist, wenn Lehrpersonen auch eine fundierte fachliche Ausbildung und eine entsprechende Fortbildung erhalten. Die Lehrer/innen-Rolle erschöpft sich keineswegs in der Aufgabe des Coachings und Lernbegleitens, vielmehr ist die über die Jahrhunderte konstante Grundstruktur von Schule und Unterricht immer noch gültig: Mehrwissende (Lehrpersonen) bringen weniger Wissenden (Schülerinnen und Schülern) etwas bei. Und das trotz aller Änderungen und Fortschritte in Didaktik, Methodik, Pädagogik und Technik. Das gilt auch für die derzeit so aktuelle Digitalisierung: Auch sie schafft per se – gleichsam „automatisch“ – nicht ein Mehr an Bildung, sondern ist zunächst nur eine, wenn auch in ihrer Dimension und ihren Auswirkungen radikal neue Methode der Vermittlung. Die wichtigste Vermittlerin von Bildung ist und bleibt die Sprache. Bei aller Bedeutsamkeit des eigenen Erlebens und Erfahrens junger Menschen und des Wertes der Anschauung könnte rein quantitativ nur ein geringer Bruchteil des erforderlichen Grundwissens erworben werden ohne die Vermittlungsarbeit der Sprache. 

 

Selbstverständlich gehören zu einer umfassenden Bildung auch die Vermittlung und der Erwerb formaler Kompetenzen, sogenannter „soft skills“ wie Teamfähigkeit, soziale Kompetenz, Kritikfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit oder vernetztes Denken. Aber letztlich können auch solche Kompetenzen nur anhand von Inhalten, also von „Stoff“, erworben werden, so wie Kochen nicht ohne Zutaten oder Stricken nicht ohne Wolle möglich ist. 

 

Aus einer ganzheitlichen Bildung darf auch die Beschäftigung mit der Sinnfrage nicht ausgeklammert werden. Die Auseinandersetzung mit Sinnangeboten verschiedener Art und das Angebot einer grundlegenden Sinnorientierung – sei es im Rahmen des Religions-, Ethik- oder Philosophieunterrichts – tragen wesentlich zur Persönlichkeitsbildung junger Menschen bei. Es gilt also, auch in der Schulbildung „den Himmel offen zu halten“, und zwar in beide Richtungen: durch die (religiöse) Sinnfrage einerseits und die Beschäftigung mit Kunst andererseits. Denn diese ermöglicht eine Ahnung von einem Lebenssinn jenseits alles Materiellen, ist gleichsam „der Einbruch der Ewigkeit in die Zeit, des Himmels in die Welt“. Oder mit den Worten von Nikolaus Harnoncourt: „Die Kunst ist eben keine hübsche Zuwaage – sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Mensch-Sein.“ 

 

Zusammengefasst sind also das Ziel von Bildung und Schule wissende und könnende, freiheitsliebende, kreative, kritische Menschen, befähigt zu einem sinnerfüllten Leben und zu einer aktiven, positiven Mitgestaltung von Welt und Gesellschaft sowie immun gegen jede Art von Instrumentalisierung. 

HR Dr. Thomas Plankensteiner, ehemaliger LSI AHS